Als ich mit Twitter noch nichts anfangen konnte, das ist ca. 1½ Jahre her, ging es mir irgendwie auf die Nerven. In jedem Blog wurde über Twitter berichtet und überall darüber geredet. Der Begriff “Microblogging” war schnell geboren und sollte nun auch noch Leuten beigebracht werden, die nicht mal wissen, was ein Blog ist.
Mittlerweile nutze ich Twitter sehr intensiv, von Zuhause genauso, wie unterwegs vom Handy. Ich folge nur denen, deren Dinge mich wirklich interessieren, oder eben Mediendiensten wie z.B. MEEDIA, damit ich informiert bleibe. Das heißt, dass ich das auch lese. Jedenfalls den Großteil, manchmal ist es eben einfach soviel, dass man nur noch drüberfliegt bzw. im Strom fischt, wie es Sascha Lobo so schön formulierte.
Womit ich beim, in den Internethimmel gelobten, deutschen Vorzeigetwitterer wäre. Etwas aufgerundet folgen Sascha heute immerhin 16.600 Leute. Eine beachtliche Zahl, wenn man sich mal vorstellt, dass das ein kleines Fußballstadion ist. Aber doch eigentlich auch ein Witz, wenn man das mit Amerikanern vergleicht. Den Vergleich mit Prominenten oder großen Blogs lasse ich außen vor, das wäre Unsinn, aber internetbekannten Herrschaften, die nicht hauptberuflich singen oder vor der Kamera stehen, folgen in den USA mehrere Hunderttausend Menschen. Liegt es einzig und allein daran, dass die halbe Welt Englisch spricht, und daher auch Amerikanern folgt, die aber wiederum kein Deutsch, sodass sie eben keinem Sascha Lobo folgen?
Oder liegt es daran, dass die Amerikaner einfach viel begeisterungsfähiger sind, als es Deutsche sind? Amis sind von tollen Ideen und Dingen fasziniert, probieren sie aus und machen mit. Deutsche sind skeptisch, bemängeln erstmal hier und da, bevor sie es überhaupt ausprobiert haben.
In den USA nutzt man Twitter beinahe in jeder Branche und Lebenslage! Erst letzte Woche gab es in der New York Times einen Artikel, wie Kleinunternehmer ihrem Geschäft via Twitter auf die Beine helfen. Herausragend dabei, der Crème brûlée-Mann (~6.200 Follower) aus San Francisco. Er fährt mit einem kleinen Wagen durch die Stadt, verkauft französische Spezialitäten und twittert Speisekarte, Standort und Sonderangebote und die Leute rennen ihm die Bude ein. Als Vergleich, das Berliner St. Oberholz, Heimat der digitalen Bohème, jeder, der dort sitzt, hat einen Twitter-Account. Behaupte ich jetzt einfach mal. Und der Laden kommt auf stattliche 87 Follower. Wo ist da die Relation?
Und wieso hat Twitter in Deutschland noch nicht diesen Mainstreamstatus erreicht? Kommt das noch? Wieso kommt Twitter in Deutschland nicht über die Medien- und Onlinebranchen hinaus? Stattdessen kommt wieder die erwähnte Skepsis zum Tragen und es werden Studien veröffentlicht, die Twitter als den Spatz im Reich der Web2.0-Tiere abservieren, was im Umkehrschluss durchaus dazu führt, dass noch weniger Unternehmen den Weg ins Internet wagen und Social Media-Kampagnen starten. Wieso auch, wenn repräsentative Studien aussagen, dass Twitter eigentlich total überbewertet wird?
Da hilft es auch nicht, wenn man Freunde aus anderen Branchen bequatscht, die dann zwar meinen, dass sie schon mal von Twitter gehört haben (“Hat doch Obama im Wahlkampf so intensiv genutzt, oder?”), aber nicht wüssten, wie sie es für sich nutzen sollten, oder auf den eigenen Parties eine Twitterwall installiert, denn neue Twitterer rekrutiert man so nicht. Was also tun, um Twitter in Deutschland zu etablieren? Wie schafft man es, dass nicht nur Werber, Medienschaffende, Blogger oder Nerds Twitter akribisch nutzen? Was müssen wir tun, um Twitter in Deutschland populärer zu machen, sodass auch andere Branchen und Menschen Fuß fassen?